Geschichten

Corona - ein Blick zurück mit Jasmin Bernecker

Jasmin ist eine 39 Jahre junge Frau, die nach Fertigstellung der Wyenhütte 2009 dort eingezogen ist. Sie lebt in einer gemischten Gruppe unterschiedlicher Menschen. Sie bewohnt ein schönes großes helles Zimmer am Ende eines pinken Flurs. Ihr Zimmer ist rot und weiß gestrichen und überall hängen Kunstwerke von ihr. Das Zimmer wirkt sehr aufgeräumt und strukturiert, aber auch sehr feminin und gemütlich. Jasmin hat ein eigenes barrierefreies Bad und eine kleine Kaffeeküche direkt in ihrem Zimmer.
Jasmin arbeitet Vollzeit in der Werkstatt Spielkaulenweg. In ihrer Freizeit malt sie sehr gern, sie hört viel Musik. Dabei, erklärte sie, liege sie auf dem übergroßen Sessel auf dem ich gerade sitze und da könnte sie herrlich entspannen.
Ich sprach sie auf ihre körperlichen Einschränkungen an, da mir an ihrem Gang und der Haltung ihres Arm aufgefallen war, dass sie beide wirken wie bei Menschen, die einen Schlaganfall hatten. Sie erzählte über ein paar Vorkommnissen und ein paar Operationen. Dann fing sie an zu lächeln und meinte, dass sie sich nun daraus aber wieder heraus kämpft. Sie machte deutlich, dass sie sich davon weder einschränken noch aufhalten lassen würde. In ihrem Zimmer stand auch ein Rollstuhl in PINK! Ich war schwer beeindruckt, da ich aus meiner Berufslaufbahn weiß, wie schwer es ist bei der Krankenkasse spezifische Kundenwünsche durch zu bekommen. Er war wirklich pink und Jasmin wirkte sehr stolz darauf. Außerdem stand da auch ein Fahrrad-ähnliches Trainingsgerät. Jasmin erklärte sehr selbstbewusst, dass sie den Rollstuhl eigentlich gar nicht braucht. Ihr Mutter rät ihr diesen bei längeren Strecken mitzunehmen, aber Jasmin machte sehr deutlich in unserem Gespräch, dass sie fest entschlossen ist so viel wie möglich ohne Hilfsmittel zu gehen und zu stehen.
Auf mich wirkt Jasmin wie eine sehr starke Frau, die genau weiß was sie möchte und was nicht. Sie wirkte fröhlich und besonnen zu gleich, sie zeigte sich mir, einer völlig unbekannten Person, sehr offen gegenüber. Sie wirkte sehr optimistisch, sehr eigenständig und keck.
Sie erzählte sehr frei und fand immer eine Antwort auf meine Fragen. Teilweise erzählte sie einfach weiter und ich musste nur noch mit dem Schreiben hinterherkommen.
Als ich sie fragte, wie sie Corona findet, fiel ihr sofort nur ein Wort ein. „Scheiße“ sagte sie. Sie erklärte, dass so viele Leute sich nicht an die Regeln halten. Sie sagte sie fühle sich eingesperrt. Sie finde das alles auch sehr verwirrend, mal hat alles offen und dann wieder zu. Sie fühle sich sehr eingeschränkt und können nun wieder nur wenige Dinge alleine und selbstständig erledigen.
Die aktuellen Corona-Einschränkungen findet sie doof. Normalerweise geht sie auch mal gerne einkaufen. Besonders Sachen für sich und ihren Bedarf. Sie geht manchmal mit den MitarbeiterInnen ein Eis essen oder besucht auch mal Konzerte. Das alles ist derzeit nicht möglich oder nur eingeschränkt möglich. Sie sagt es nerve sie und sie weiß manchmal nicht woran sie ist.
Sie wirkte sehr traurig darüber, dass sie auch jetzt ihre Mutter nicht so besuchen kann wie sie gerne möchte. Normalerweise übernachtet sie auch am Wochenende schon mal dort. Sie können sich nicht mal eben treffen und sehen. Die Familie wohnt in Essen. Alles ist so kompliziert und einiges muss organisiert werden. Manchmal kommt ihre Mutter vorbei und gelangt über den Garten in ihr Zimmer. Durch diesen Zugang begegnet sie keinem anderen Mitbewohner/In. Aber sie und ihre Mutter haben für sich eine vorübergehend andere Lösung gefunden. Jasmin besitzt ein Tablet mit WhatsApp nun können sie und ihre Familie wenigstens über Videotelefonie sprechen und sich sehen. Ich merkte ihr sofort an, dass dies ein besonderes Thema ist, sie wurde etwas ruhiger und weniger euphorisch, sie wirkte traurig bei diesem Punkt. Man vergisst im ganzen Corona-Regel-Tumult was es für einige Menschen bedeutet nicht mehr so selbstständig zu sein wie gewohnt.
Man vergisst wie wichtig einigen Menschen der Kontakt zur eigenen Familie ist und wie kompliziert es manchmal sein kann, wenn man in einer Einrichtung mit einer größeren Wohngemeinschaft wohnt. Mancher setzt sich vielleicht über die ein oder andere Regel hinweg, fährt trotzdem zu Mutter oder Oma und hält Abstand. Aber eine Kundin wie Jasmin möchte das nicht so einfach machen. Sie muss sich mit allen Konsequenzen an die Regeln halten und erlebt die Einschränkungen zum Wohl der Anderen vielleicht etwas gravierender als andere.
Jasmin selbst sagt sie findet die Situation traurig. Sie erzählt mit ein wenig zitternder Stimme, dass ihr an manchen Tagen einfach nur zum Weinen zumute sei. Aber dann zwingt sie sich zum Lächeln und sagt selbstbewusst, dass sie das und diese Gedanken einfach wegschiebt. Sie sagt sie sieht es optimistisch, sie hört Musik und lenkt sich dann ab. Man merkt ihr an, dass es sie ein wenig Kraft kostet positiv zu bleiben, aber ich fühle mich von ihrer fröhlichen Einstellung direkt mitgerissen. Sie grinst und sagt man müsse das Beste daraus machen, aber es ist eine schwere Zeit. Sie lächelt, aber ich glaube in ihren Augen einen leichten Glanz zu sehen. Es ist nicht leicht in solchen Tagen sich seine mutige und fröhliche Stimmung zu bewahren.
Wie bei vielen Menschen außerhalb Hephata ist auch bei Jasmin der Urlaub aufgefallen, so wie er geplant war. Erst durfte man nicht wegfahren, dann hat sie ihren Urlaub verschoben, dann hatte die Werkstatt geschlossen. Von drei geplanten Urlaubstrips hat nur einer stattgefunden. Jasmin sagt sehr deutlich im Interview, dass sie mal wieder irgendwas braucht wo sie runterkommen kann. Viele Aktionen, die sonst stattgefunden haben müssen abgesagt werden. Jasmin beklagt sich darüber, dass man nur zu wenigen Gelegenheiten raus kann, aber auch, dass viele Feste innerhalb der Region und ihrem Haus abgesagt wurden. Das macht deutlich warum sie sich in ihrem Zuhause eigesperrt fühlt. Es gäbe in dem großen Garten der Gruppe eigentlich jährlich ein Grillfest mit allen Familien und an Weihnachten geht die ganze Gruppe lecker essen. Vieles wurde abgesagt und wird nun durch Essen bestellen ersetzt. Jasmin findet aber das ist bei weitem nicht dasselbe.
Ich sehe neben einem Bett, einem Schreibtisch und besagtem großen Sessel auch einen Fernseher an der Wand und frage sie wie oft und wie intensiv sie die aktuellen Nachrichten verfolgt, bzw. in welchem Umfang sie diesen kognitiv aufnehmen kann. Sie berichtet mir, dass sie die Nachrichten verfolgt und es ist wichtig ist informiert zu sein. Sie zählt auf, das Markus Lanz, Anne Will und Spiegel TV die Sendungen sind, die sie gerne guckt. Sie sagt sie interessiert sich sehr dafür. Sie spricht deutlich energischer bei diesen Erzählungen und ich bekomme den Eindruck sie brennt regelrecht dafür. Sie sagt selbst sie sehe die Entscheidungen der Politik kritisch, manchmal bekomme sie Kopfschmerzen im Sprichwörtlichen Sinne und hoffe, dass sie da oben, die Politiker richtig entscheiden. Sie sagt sie hofft es wird wieder wie vorher, man muss es nehmen wie es ist.

 

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